Das Marienandachtsbuch aus Schrattenthal

Das älteste gedruckte Buch Niederösterreichs aus dem Jahre 1501 in der Landesbibliothek  

Detail aus dem Buch von Schrattenthal 1501
© NÖ Landesbibliothek

Im Rahmen des NÖ Landesbüchereitages 2021 wurde dem Landtagspräsidenten Karl Wilfing die Ehren-Buchpatenschaft für eines der bedeutendsten Bücher der Niederösterreichischen Landesbibliothek verliehen: das am 20. März 1501 in Schrattenthal gedruckte Buch ist damit das älteste gedruckte Buch aus dem heutigen Niederösterreich (ohne Wien) und fügt sich so als Mosaikstein in das heurige Hundertjahr-Jubiläum Niederösterreichs.  2022 bringt aber auch das 550-Jahr-Jubiläum der Stadterhebung von Schrattenthal 1472. Das alles bildet genug Grund, dieses Buch wieder einmal vor den Vorhang zu holen; dazu kommen aber auch neue Erkenntnisse zu diesem Buch, die auf dessen genauere Betrachtung wegen dieser Jubiläen zurückzuführen sind. 

Unser Exemplar wurde am 25. März 1981 vom Wiener Antiquariat Christian M. Nebehay erworben; das Anbot im Antiquariatskatalog (Katalog Nr. 71. Drucke, Bücher 17.-19. Jahrhundert, Festungs- und Schlachtenpläne des 18. Jahrhunderts. Wien 1981, NÖLB Signatur 53.104 C 43/74, Seite 12-13) lautete:

„7 Michael Franciscus ab Insulis, Quodlibetica decisio perpulchra et devota de septem doloribus christiferae virginis Mariae 

54 Blatt mit Titelholzschnitt (Halbfigur der Jungfrau Maria mit sieben Schwertern) und einem ganzseitigen Holzschnitt auf Blatt 49 v: Maria mit den sieben Schwertern, neben ihr der heilige Bernhard und der heilige Augustinus; innerhalb der Bordüre das Wappen von Martin von Eitzing. Mit einigen einfachen, rot gemalten Initialen, gedruckte Initialen mit gelben Auszeichnungsstrichen.
Brauner, moderner Maroquinband, 4°.
Schrattental, (unbekannter Drucker für Martin von Eitzing), 20. März 1501.

95.000,-

Das erste in Niederösterreich gedruckte Buch und einziger Druck der Schrattentaler Presse.
Langer-Dolch, p. 131; H. W. Lang, Die Buchdrucker des 15. bis 17. Jahrhunderts in Österreich, 1972, p. 40; H. Maschek, Der Schrattentaler Druck vom Jahre 1501, in: Zentralblatt für Bibliothekswesen, 52, 1935, pp. 388 ff.
Von diesem Druck der Schrattentaler Presse sind bis jetzt nur wenige Exemplare bekannt geworden: Berlin, British Museum, Klosterneuburg, Nationalbibliothek Wien, Spencer Collection der New York Public Library und das Exemplar der Sammlung Langer (= wahrscheinlich unser Exemplar).
Der Verfasser dieses Erbauungsbuches, das "der Förderung der Marienverehrung, insbesonders der Verbreitung der Bruderschaft der Sieben Schmerzen Mariens dienen sollte" (Maschek, p. 390), war der flämische Dominikaner Michael Franciscus de Furno ab Insulis (Lille 1435 - 1502), der seit 1490 als Beichtvater und Erzieher im Dienst Kaiser Maximilians stand. "Das Werk (bereits um 1496 in Antwerpen erstmals gedruckt) enthält außer einer moralisch-aszetischen Besprechung der Sieben Schmerzen Mariens eine Darstellung der Ziele der Bruderschaft und ihre kurze Geschichte; beigefügt ist das liturgische Officium de septem doloribus, das Peter von Manso verfaßt hat" (Maschek, p. 390).
Auftraggeber des Druckes war Martin von Eitzing, Besitzer der Herrschaft Schrattental und ein Neffe des bekannten Ulrich von Eitzing, der als Anführer der Erhebung gegen Friedrich III. im niederösterreichischen Herrenstand eine bedeutende Rolle spielte. "Stephan von Eitzing (ein Bruder des Ulrich) und seine Söhne Martin und Georg errichteten 1476/77 in Schrattental eine Augustiner-Chorherren Niederlassung neben dem Retzer Tor, die von Dürnstein und St. Dorothea in Wien besetzt wurde ... Das Stift kam bald zu ansehnlicher lokaler Bedeutung, die durch starken Wallfahrerzuspruch ihren Ausdruck fand. 1501 gründete Martin von Eitzing eine Bruderschaft zu Ehren der Sieben Schmerzen Mariens. Im selben Jahr ist eine Klosterdruckerei nachzuweisen, die älteste Offizin in Niederösterreich" (Handbuch der historischen Stätten Österreichs, I, 1970, p. 536). Es wird allerdings auch angenommen, daß der Druck von einem wandernden Meister hergestellt wurde, "doch weder die Typenvergleichung noch urkundliche Nachrichten ermöglichen es, seine Person festzustellen" (Maschek, p. 391). Der Titelholzschnitt, dessen Block ausgedruckt erscheint, dürfte bereits vorher auch als Einzeldruck verkauft worden sein, allerdings hat sich kein Exemplar erhalten. Der zweite Holzschnitt, mit dem Wappen des Martin von Eitzing, ist sicherlich für das Buch selbst hergestellt worden.“

Unter der Geschäftszahl III/3b-1/332-1981 fanden sich die glücklicherweise noch erhaltenen Kaufunterlagen (Aktenübersicht, Zahlungsauftrag, Sachverhalt und Genehmigung sowie ein Schreiben an die Firma Nebehay). 

Im Buch finden sich zwei Exlibris sowie die Signatur „1865“ des Vorbesitzers. Das vordere Exlibris lautet: „Ex libris A E pro viribus summis contendo“, das hintere „Bibliotheca Broxbourniana J.P.W.E. 17 March 1949 Ex dono A & R. E“. Dem wurde bisher offenbar nicht nachgegangen oder die entsprechenden Bemühungen waren nicht erfolgreich; man muss natürlich einräumen, dass eine entsprechende Recherche mit den heutigen Möglichkeiten des World Wide Web um vieles aussichtsreicher ist. Jedenfalls ermöglichten diese Angaben eine Aufhellung der Besitzgeschichte dieses Buches. Broxbourne ist eine in Hertfordshire circa 27,5 km nördlich von London gelegene Stadt mit rund 15.000 Einwohnern. Nach dieser Stadt benannte Albert Ehrman, 1890-1969, ein dort ansässiger Industriediamantenhändler und Bibliophiler, seine ab den 1920ern entstandene Büchersammlung. Von seinen Eltern Albert Ehrman und Rina Ehrman (geb. Bendit, 1892-1972, aus London-Hampstead) erhielt John Patrick William Ehrman, 1920-2011, ein bekannter Historiker, die Bibliotheca Broxbourniana am 17. März 1949 als Geschenk zu seinem 29. Geburtstag. Er löste diese Sammlung bis 1978 durch Schenkungen an die British LibraryBodleian Library (Oxford) und Cambridge University Library sowie durch Auktionen (vgl. Catalogue of the valuable printed books from the Broxbourne Library illustrating the spread of printing: the property of John Ehrman which will be sold by auction by Sotheby Parke Bernet & Co. 1, Abbeville-Lyons, 14-15.11.1977. 2, Madrid-Zwolle, 08-09.05.1978) auf.

Der Holzschnitt auf Blatt 49 verso im Buch zeigt die beiden Pfarrpatrone von SchrattenthalBernhardin von Siena und Augustinus von Hippo, dazwischen die Sieben Schmerzen Mariens und darunter das Wappen des 1512 verstorbenen Martin von Eitzing, eines Neffen des 1460 verstorbenen Ulrich von Eitzing (Eyczing). Er veranlasste 1501 den Druck des bereits 1496 in Antwerpen erschienenen Büchleins in Schrattenthal und hatte zuvor 1495 mit Zustimmung des Bischofs von Passau Christoph Schachner (1447-1500) die vom damaligen Herzog von Burgund und späteren König Philipp I. von Kastilien gegründete Bruderschaft der Sieben Schmerzen Mariae (Mariens) nach Schrattenthal geholt, die bis 1525 bestehen blieb. Das Büchlein, die „Quodlibetica decisio perpulchra et devota de septem doloribus christiferae virginis Mariae“ war von Michel François (auch: Michael Francisci ab Insulis, das ist Lille, 1435-1502) verfasst worden, einem in Templemars bei Lille geborenen Dominikaner, der 1475 zusammen mit Jakob Sprenger die Rosenkranzbruderschaft in Köln gegründet hatte und 1493 zum Fidei quaesitor generalis der 17 Provinzen Belgiens bestellt und zum Bischof in partibus geweiht worden war. Es ist gewiss kein Zufall, dass er von Kaiser Maximilian 1490 mit der Erziehung des bereits erwähnten Erzherzog Philipp des Schönen betraut worden war.

Bleibt noch ein Wort zum oben genannten Wappen der EitzingerUlrich von Eyczing hatte Schrattenthal 1434 erworben und 1435 zu seinem Hauptsitz gemacht; zuvor sind die Eitzinger in Oberösterreich nachweisbar. Wenn auch seitenverkehrt, findet sich unser Wappen seit 1973 als Gemeindewappen der Gemeinde Eitzing im Bezirk Ried im Innkreis wieder. Könnte das nicht den Anlass für eine Gemeindepartnerschaft von Eitzing und Schrattenthal im Jubiläumsjahr bilden, falls eine solche nicht schon besteht?




Detail des Babenbergerstammbaums von Ladislaus Suntheim
© NÖ Landesbibliothek

Zum Hintergund:
Nachdem die antike Buchrolle aus Papyrus im 4. Jahrhundert vom handgeschriebenen Kodex aus Pergament verdrängt worden war, beherrschte diese neue Buchform die europäische Buchproduktion bis zur Erfindung des Buchdrucks durch Johannes Gutenberg um 1450. Die bis zum Ende des Jahres 1500 in der neuen Buchdrucktechnik hergestellten Bücher werden als Inkunabeln oder Wiegendrucke bezeichnet und besitzen einen besonderen Sammlerwert. Aus dem heutigen Niederösterreich (ohne Wien) ist jedoch keine Inkunabel bekannt, als ältestes gedrucktes Buch Niederösterreichs ist der Frühdruck aus Schrattenthal vom 20. März 1501 anzusehen. Gleichwohl besitzt die NÖ Landesbibliothek auch einige Inkunabeln, wie zum Beispiel ein Exemplar des berühmten "Liber chronicarum" von Hartmann Schedel, Nürnberg 1493, weiters auch ein Exemplar "Der löblichen Fürsten und des Landes Oesterreich Altherkommen und Regierung" von Ladislaus Suntheim, Basel 1491. Das Bild links zeigt einen Ausschnitt aus dem darin enthaltenen Stammbaum der Babenberger.


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